“Meine Hündin ist mein bester Coach.”
Diesen Satz sagte kürzlich eine Freundin zu mir.
Sie muss es wissen. Denn ihre Hündin hatte von Anfang an mit den verschiedensten Ängsten zu tun, von denen einige bis heute ihre Begleiter sind.
Und auch meine Freundin kennt sich aus. Mit Sorgen, Unsicherheiten, Zweifeln und eben Ängsten.
Deshalb fand ich diese Feststellung, gerade aus ihrem Mund, so bedeutungsvoll.
Im Laufe unseres Gesprächs analysierten wir dann, was genau wir unter dieser Form des „Hunde-Coachings“ verstanden.
Am Gravierendsten ist vielleicht, dass, sobald der Hund oder die Hündin einmal bei uns ist, wir keine Wahl mehr haben, ob wir uns mit den Themen, die uns das Tier präsentiert, auseinandersetzen wollen oder nicht.
Als Hundehalterin kann ich mich nicht NICHT verhalten, sondern muss irgendwie mit dem umgehen, was gerade los ist.
Und das ist – vor allem am Anfang – jede Menge. Es sei denn, es handelt sich um ein entspanntes, „pflegeleichtes“ Wesen, das einfach so mitläuft (auch das soll es ja geben 😉).
Auf jeden Fall kommen wir im Zusammenleben mit unserem Hund in Sachen Selbstreflexion sehr schnell von der Theorie in die Praxis.
Da können wir uns in der Vergangenheit noch so sehr mit uns und unserer Psyche befasst haben, können Therapie- und Coachingstunden absolviert und uns Konzepte für unser Leben überlegt haben.
Der Hund an unserer Seite prüft all das auf Herz und Nieren. Er checkt unseren Entwicklungsstand und gibt darüber detailliert Auskunft ….
Ein Beispiel aus meinem eigenen Leben ist das Thema „Raum“.
Ein Thema, mit dem ich mich schon x-mal befasst habe oder, besser gesagt, befassen musste. Und bei dem ich mich oft unsicher fühlte.
Wo beginnt mein Raum, und wo endet er?
Wie viel Raum kann und will ich mir nehmen?
Was ist, wenn jemand mir zu nahe kommt – emotional, verbal oder körperlich?
Alles Fragen, die ich wunderbar in mir hin- und herbewegen und in Gesprächen erörtern kann.
Meinen Hund interessiert es jedoch nicht die Bohne, was ich so erörtere.
Er nimmt sich einfach seinen Raum. Und kommt ihm jemand zu nahe, so verteidigt er ihn und hält Hunde wie Menschen auf Abstand.
Umgekehrt läuft Pinto schwanzwedelnd um mich herum, wie es ihm gefällt. So lange und so dicht, bis ich ihm zeige, wo mein Raum beginnt und meine Grenze verläuft.
Ja, aber … wo verläuft denn eigentlich meine Grenze? Und - woher weiß ich das?
Jetzt wird es richtig spannend. Jetzt finde ich Antworten ...
Denn jetzt beginnt das wirkliche Erforschen und das Feststellen und das Umsetzen. Mitten im Leben, mitten im Alltag und mit Pinto als meinem Übungspartner.
Er bringt mir alles über meine Grenzen und meinen Raum bei, was ich noch nicht wusste, nicht fühlte, nicht bemerken konnte oder wollte.
Er fragt mich jeden Tag neu danach.
Tina, wo genau ist jetzt, in diesem Moment, deine Grenze? Wo beginnt dein Raum … und wo endet meiner?
Wenn ich darauf eine Antwort finden will, dann muss ich hinfühlen.
Ich muss spüren, was ich mag, was ich noch mag, was ich nicht mehr mag und wann ich beginne, mich richtig unwohl zu fühlen.
Das schreibt sich leicht, ist es aber nicht. Zumindest nicht für mich.
Nicht für mich, die ich in einer Großstadt lebe, wo man sich dauernd auf die Pelle rückt. Und in einer Gesellschaft und in Strukturen, wo ununterbrochen Grenzen getestet und – bewusst oder unbewusst – überschritten werden. Und wo Raum verhandelbar scheint. Sogar mein ganz persönlicher, privater Raum.
Von meinem Hund lerne ich alles über meinen Raum, wenn ich es zulasse.
Und ich lerne etwas über die damit verbundenen Emotionen. Über meine Wut, meinen Ärger, meine Scham und meine Ohnmacht. Aber auch über Selbstbestimmtheit, Durchsetzungskraft und innere Stärke.
Und schließlich über die Unverhandelbarkeit meines inneren Raums. Der immer da ist, ungeachtet aller Umstände.
Meine Freundin hat es wirklich auf den Punkt gebracht.
Auch für mich ist mein Hund mein bester Coach – nicht nur, aber auch in Sachen Raum.