Was ist eigentlich ein Problemhund?

Der Problemhund – gibt es ihn wirklich?

Kürzlich stolperte ich über diesen Begriff und merkte, dass er Bauchgrummeln bei mir auslöste.

Als Pinto zu uns kam, trug er diesen Titel auch. Und vielleicht ist er deshalb bei uns gelandet. Denn wer möchte schon von Anfang an mit Problemen zu tun haben? Ich am liebsten auch nicht, das gebe ich ehrlich zu.

Doch je mehr wir von Pintos Geschichte erfuhren oder erahnten, desto besser verstanden wir ihn.

Vom Straßenhund zum Problemhund

Soweit wir es wissen, ist Pinto als „freier Hund“ geboren worden. Sein erstes Lebensjahr verbrachte er auf den Straßen Spaniens und schlug sich irgendwie durch. Am Strand lief er den Menschen hinterher und bekam von ihnen zu essen.
Bis zu jenem Tag, als Urlauber es gut mit ihm meinten und ihn nach Deutschland mitnahmen.

Er, der es gewohnt war, sich frei zu bewegen und zu gehen, wohin er wollte, erlebte nun, dass er eingefangen wurde.

Erst musste er in die Transportbox, dann ins Auto, dann zum Veterinär. Geimpft und gechipt, wurde er wieder entlassen. Es ging zurück mit dem Wagen durch die spanischen Berge. Am nächsten Tag wurde er im Käfig zum Flughafen gebracht und in den Flieger gesetzt.

Ankunft in Deutschland.
Wieder musste er ins Auto und fuhr an einen unbekannten Ort, in ein vermeintlich neues Zuhause. Als er seine Box endlich verlassen konnte, war er außer Rand und Band, biss um sich und ließ niemanden an sich heran.

So war die Situation, von außen betrachtet. Was sich in ihm abgespielt haben mag, möchte ich, ehrlich gesagt, gar nicht genau wissen. Und er wollte auch nicht darüber sprechen. Weder mit mir noch mit einer anderen Tierkommunikatorin. So ist das mit Traumata … wir schieben sie weg, mitunter für immer.

Die Absicht, die hinter seiner „Rettung“ steckte, war sicherlich eine gute. Doch weil er wild und unbändig war, wurde er am Tag nach seiner Ankunft in ein deutsches Tierheim gebracht.

Für ihn bedeutete das: wieder in die Transportbox und ins Auto, wieder an einen anderen Ort, nochmal zum Veterinär zwecks erneuter Untersuchung, lauter fremde Menschen, fremde Hunde, fremde Tiere, fremde Gerüche - und die nächsten Monate im Zwinger auf der Quarantänestation. Irgendwann kam er dann ins Gehege zu anderen Hunden. Die drängelten ihn weg, als wir uns dem Auslauf näherten. Ein Schild hing dort: „Pinto, noch nicht leinenführig“ … .

 

Es verwundert nicht, dass Pinto keinerlei Interesse daran hatte, sich ein Geschirr oder eine Leine anlegen zu lassen.  

Nichts von dem, was die Menschen hier von ihm wollten, hatte er in seinem ersten Lebensjahr erfahren. Als Straßenhund hatte er gelernt, auf seine Weise zu überleben. Dazu waren Willensstärke, Eigenständigkeit, Mut und Durchsetzungsvermögen dringend nötig.
Und jetzt? Sollte er sich artig durch die Gegend führen lassen und fremden Leuten vertrauen, von denen er zuletzt wenig Angenehmes kennengelernt hatte. 

Er verstand die Welt nicht und war nicht einverstanden mit alldem. Und wurde zum Problemhund erklärt. Einfach so.
Da ist es wieder, mein Bauchgrummeln.

 

Es ist einfach, einem Hund ein Etikett zu verpassen.                         

Und es ist verständlich, weil damit versucht wird, eine Situation oder Gegebenheit zu erfassen. Doch wird diese einseitige Betrachtung kaum weiterhelfen, weil sie nur einen winzigen Ausschnitt wiedergibt und der Komplexität der Sache überhaupt nicht gerecht wird.

Wie wäre es mit ein paar Alternativen zum „Problemhund“?

„Ich habe ein Problem damit, dass der Hund … “

„Der Hund hat wohl Schwierigkeiten mit ... “

„Ich glaube, der Hund mag nicht … “

„Der Hund fühlt sich offenbar unwohl, wenn er … “

„Wenn der Hund … macht, dann fühle ich mich hilflos.“

 

Wenn ich das Thema, um das es geht, klarer beschreiben kann, dann entsteht eine völlig neue Ebene. Ich erhalte auch einen anderen Handlungsspielraum, als wenn ich sage: Das ist ein Problemhund. Oder womöglich: „Du bist ein Problemhund!“

Während ich dies schreibe, fasse ich mir auch an die eigene Nase. Auch ich darf mich immer wieder beobachten bei dem, was ich denke, empfinde und äußere.

Pintos Geschichte ist mir dabei Hilfe und Erinnerung zugleich.

Denn letztlich bin auch ich zwar ein Mensch mit Problemen, aber noch lange kein PROBLEMMENSCH 😉.